Treffen von französischen Absolventen und deutschen Kameraden, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Treffen von französischen Absolventen und deutschen Kameraden, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Links und rechts des Rheins

Seit mittlerweile 30 Jahren erhalten ausgewählte deutsche und französische Marineoffizieranwärter eine komplette Ausbildung im Partnerland. Die dabei gemachten Erfahrungen dienen als Grundlage für einmalige Karrieren.

Alles begann 1993. Das ist eine gefühlte Ewigkeit her. 30 Jahre zuvor wurde der Elysée-Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland unterzeichnet, wodurch die Zusammenarbeit der beiden Länder in vielen Bereichen, unter anderem bei den Streitkräften, als politisches Ziel vereinbart wurde. Noch im gleichen Jahr wurde diese Kooperation mit einem neuen Austauschprogramm zwischen beiden Marinen weiter vorangetrieben.

Schon seit 30 Jahren vertrauen die Deutsche Marine und die Marine Nationale jedes Jahr dem Partner junge Offizieranwärter für die Offizierausbildung an. Jedes Jahr nehmen daher ein bis zwei Offizieranwärter an der gesamten Ausbildung, einschließlich des Studiums, im Partnerland teil. Ein beträchtliches Engagement und ein Beweis des gegenseitigen Vertrauens der beiden Länder. Denn fünf Jahre lang werden diese Offizieranwärter im Ausland ausgebildet und stark von dieser außergewöhnlichen Zeit geprägt.

Die Ausbildungen sind sehr unterschiedlich. Aber das Endprodukt – ein voll ausgebildeter Marineoffizier, der in der Lage ist, komplexe Systeme und Menschen im Kampf zu führen – ist gleich. Das ist es, was zählt. Nach fünf Jahren kommt jeder fertig ausgebildete Offizier zurück mit einer tiefen Kenntnis des Partners, nicht nur seiner Sprache, sondern auch der Kultur, des Führungsstils und der Entscheidungsverfahren, sowie mit einem umfassenden Netzwerk, das in späteren Verwendungen von großem Vorteil sein kann.
Zur Besonderheit dieses Austauschs gehört, dass es diesen nur zwischen Deutschland und Frankreich gibt. Mit keinem anderen Partner wird eine so tiefe Kooperation erreicht.

Die französische Ausbildung aus Sicht einer deutschen Absolventin:

Es war der 27. August 2007, ein warmer Sommertag im westfranzösischen Brest. Ich war aufgeregt – neugierig, was mich am Lycée Naval wohl erwarten würde? Das Lycée, ein aus braunem Sandstein errichtetes Gebäude aus den Siebzigerjahren, das von vielen großen Fenstern mit Meerblick dominiert wird, ist die erste Ausbildungseinrichtung der französischen Marine, die ich besuchen durfte. An diesem Tag ging ich mit Lisa und Mario, meinen beiden deutschen Crewkameraden, die breite Treppe an der Seeseite hinauf, um das Gebäude erstmals zu betreten.

Das Lycée Naval ist eine Art Vorbereitungsschule, die mindestens zwei Jahre in Mathematik, Physik, Chemie, Ingenieurswissenschaften sowie Französisch und einer Fremdsprache extrem zeitintensiv und verschult auf die Bestenvergleichsarbeit, den Concours, vorbereitet. Meine lernfreie Zeit war während dieser Jahre auf den Samstagnachmittag im Anschluss an die vierstündige Klausur beschränkt. Den Rest der Zeit benötigte ich – wie auch die Franzosen –, um das enorme Pensum an Lernstoff sowie die Aufgaben zu bearbeiten. Bei dem Concours geht es um die Bestenauslese. Die herausragendsten Absolventen dürfen zu den mündlichen Prüfungen nach Paris, wo noch einmal Mathe, Physik und Sport geprüft werden und ein Motivationsgespräch mit einem französischen Admiralstabsoffizier stattfindet. Nach diesen zwei Selektionsphasen wurde ich mit 90 Kameraden für die Crew École Navale 2010 (EN 10) zugelassen.

Hier führte ich meine Ausbildung ab Sommer 2010 fort. An der Ecole muss jeder zunächst den „Traditionsmonat“ bestreiten, wo man neben militärischen Grundfertigkeiten, sportlicher Fitness und Schlafmangel in wichtigen Traditionen des französischen Offizierkorps eingewiesen wird. Dabei gibt es immer wieder Kameraden, die während dieser Probezeit abspringen und auf die dann der Nächste der Warteliste folgt. Das Thema Tradition wird in Frankreich im Vergleich zu Deutschland ganz anders und vor allem positiv gesehen. Dieser erste Monat endet mit der Aufnahme in eine Traditionsfamilie und der Zuweisung eines Paten aus dem vorangehenden Jahrgang sowie der Verleihung des Offiziersäbels.
Die drei Jahre an der École Navale sind die meiste Zeit weniger lernintensiv, außer in den stets geballten Prüfungsphasen. Allerdings gibt es hier stets die Möglichkeit, eine Prüfung zu wiederholen. Im ersten Jahr ist die gesamte Crew zusammen, im zweiten und dritten Jahr geht man in Gruppen den jeweiligen Studienvertiefungen nach, in meinem Fall Schiffbau und Schiffstechnik. Die Ausbildung an der École Navale stützt sich auf drei Säulen: Wissenschaft, Nautik, Militär – hierunter fallen Sprachen, leadership sowie militärische Ausbildung, beispielsweise eine verpflichtende Ausbildungswoche bei den Kampfschwimmern in der Wintersaison. Im Bereich Nautik wird hier sehr viel Wert auf Erfahrungen gelegt. Es geht in den ersten zwei Jahren zweimal zwei Wochen mit den Schulbooten, den bâtiments-école, aufs Meer, um hier alles Wichtige zu lernen. Im dritten Jahr nach der Diplomarbeit in zivilen Firmen, findet eine weitere Schülerfahrt – die gants blancs – statt, dieses Mal innerhalb Europas. Einigen gelingt es dabei, sich frei zu fahren – vergleichbar mit dem deutschen Leistungsnachweis I. Die französische Ausbildung gipfelt in dem sechsmonatigen Einsatzausbildungsverband, der Mission Jeanne d’Arc. Für mich war es eine Tour bis nach Vũng Tàu in Vietnam und wieder zurück. Hier vertiefte ich meine navigatorischen Fähigkeiten auf der Georges Leygues sowie der Tonnerre. Auch die operationelle sowie geopolitische Ausbildung wurde hier sehr effizient durchgeführt.

Parade in der Ecole Navale, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Parade in der Ecole Navale, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Das französische System ist sehr leistungsbezogen und am Ende der Mission Jeanne d’Arc gibt es ein Gesamtranking, nach dem man sich die verfügbaren Dienstposten innerhalb der Marine Nationale aussuchen darf oder diese entsprechend der Leistung vergeben werden.

Nach so vielen Jahren in der Marine Nationale fiel mir ein Abschied von den vielen Freunden schwer. Zu einigen habe ich noch heute in unregelmäßigen Abständen Kontakt. Was aber bleibt? Neben den Freunden selbstverständlich das Verständnis der französischen Marine sowie die Wertschätzung der Ausbildung auf einem Dienstposten in Frankreich. Auch in Deutschland wird diese Ausbildung mit einer Zusage zum Berufsoffizieranwärter wertgeschätzt. Dieses Netzwerk war mir schon das ein ums andere Mal nützlich, um schnell an Informationen zu kommen. Würde ich das Ganze noch einmal machen? Ohne das Lycée Naval auf jeden Fall, aber gerade durch diese prägenden und anstrengenden ersten Jahre kommt man mit vielen Erfahrungen und Eindrücken nach Hause.

Die deutsche Ausbildung aus Sicht eines französischen Absolventen:

Es war ein warmer Tag im Juli 2003, als ich, damals gerade 17 Jahre alt, zusammen mit meinem französischen Kameraden Thibault am Hamburger Flughafen abgeholt und zur Marineunteroffizierschule Plön gebracht wurde. Ich hoffte, dort mit meinem Schuldeutsch klarzukommen. Es folgten die erste Nacht in Deutschland und gleich der erste Nachtalarm zur Übung in der Grundausbildung. Ich verstand kaum etwas, aber die deutschen Kameraden halfen mir. Ein erstes Gefühl der Kameradschaft, die ich später im Rechtsunterricht bei der Lektüre des § 12 des Soldatengesetzes näher kennengelernt habe. Erste Übungen mit dem G 36 und der P 8 sowie die Frage, die sich jeder Teilnehmer solcher Austauschprogramme stellt: „Warum lerne ich das überhaupt? Ich werde es nie wieder nutzen!“ Die sofortige Antwort: Meine Absicht ist es, die gleiche Ausbildung zu erhalten wie die deutschen Kameraden. Im Nachhinein habe ich es sogar wirklich gebraucht! Und zwar 13 Jahre später. Also ne jamais dire jamais (sag niemals nie).

Ausbildung an Bord der Tonnnerre, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Ausbildung an Bord der Tonnnerre, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Dann ging es zum „Roten Schloss am Meer“ für den Offizierlehrgang. Es war hart, die Kollisionsverhütungsregeln nach nur zwei Monaten in Deutschland zu erlernen. Gut, dass sie auch auf Französisch verfügbar sind! Allerdings ist die Prüfung auf Deutsch und es handelt sich um ein Sperrfach, also lieber sofort in der fremden Sprache lernen. Durchfallen ist keine Option. Die Bereiche Führungslehre, Wehrgeschichte oder Politik sind auch wichtig. Innere Führung, Staatsbürger in Uniform, Parlamentsarmee, alles Konzepte, die für das französische Militär schwer begreifbar sind. Aber ich bin hier, um diese grundlegenden Unterschiede zu verstehen und sie in der Heimat erklären zu können.

Die Fahrt auf der Gorch Fock war ein Highlight der Ausbildung. Erste Erfahrungen auf See, erste Hafenaufenthalte, eine erste Wache an Deck, das erste Singen „Auf der Back ist alles klar, die Laternen brennen!“ Zwanzig Jahre später erinnere ich mich immer noch an das Schlafdeck und an die Arbeit in der Takelage, aber auch an die Kälte, die Nässe und die beeindruckende Krängung oder an das stundenlange Reinschiff vor dem Einlaufen. Aber was für eine tolle Zeit! Marine pur, aber auch aguerrissement, also Abhärten. Das kam manchmal ein bisschen zu kurz.

Als Franzose darf ich mir nach dem Offizierlehrgang nur einen technischen Studiengang der Universität aussuchen. Warum? Alle Berufsoffizieranwärter in der Marine Nationale müssen Ingenieure sein. Und dies gilt auch für das Austauschprogramm. Ist es sinnvoll? Die Frage sei dahingestellt, denn es ist in Frankreich kein Thema, das zu ändern.

EFENA-Treffen in der MSM, Foto: Hanna L. und Adrien R.

EFENA-Treffen in der MSM, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Also geht´s nach München, um Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren. Eine ganz andere Welt. Auch hier ist der Unterschied zum französischen Schulsystem immens. Selbstständigkeit, Freiheit, zivile Kleidung: Es ist zwar einer französischen Uni ähnlich, bleibt aber sehr fern vom französischen Elite- und Offizierhochschulsystem, das ich ein Jahr lang zwischen Baccalauréat (Abitur) und meinem Eintritt in die Marine Nationale „genießen“ durfte. An der Universität der Bundeswehr musste ich mich auf dieses sehr freie System erst einmal einstellen. Die Herausforderung lag auch in den einzelnen Prüfungen am Ende des Trimesters. Es macht das Studium besonders anspruchsvoll. Die Durchfallquote ist dementsprechend hoch, vor allem im Vergleich zur französischen Offizierausbildung, wo die Schwierigkeit bei dem Concours, also dem Auswahlverfahren liegt. Leider fallen manchmal auch französische Offizieranwärter an der Uni durch. Die Ausbildung ist für alle hart, es gibt für die Franzosen keine Sonderregeln.
Nach fünf Jahren in Deutschland ist die Rückkehr in die Heimat manchmal schwierig. Nicht nur, weil man Freunde und Kameraden hinter sich lässt, sondern vor allem, weil man sich nun in einer fest verbundenen Crew in Frankreich integrieren muss.

Militärische Ausbildungwährend der Uni-Zeit, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Militärische Ausbildung während der Uni-Zeit, Foto: Hanna L. und Adrien R.

Aber ist man nach der deutschen Offizierausbildung gut für die anstehenden Aufgaben gerüstet? Diese Frage kann ich auf jeden Fall bejahen. Für die Offiziere, die im Operationsdienst tätig sind, ist es oft schwierig, denn die nautischen Lehrgänge kommen in Deutschland erst nach dem Studium, während die französischen Offiziere als voll ausgebildete Wachoffiziere die École Navale verlassen. Also müssen wir erst einmal viel nachholen. Würde ich es wieder so machen und die Ausbildung weiterempfehlen? Auf jeden Fall. Es war eine einmalige Erfahrung im Ausland, die mein ganzes Leben geprägt hat.

Die Marine Natonale zählt heute fünf Admiralstabsoffiziere aus diesem Austauschprogramm, zwei davon sind auch Absolventen des deutschen Genralstabs-/Admiralstabslehrgangs National (LGAN) an der Führungsakademie der Bundeswehr. Sechs französische Absolventen wurden im Laufe ihrer Karriere wieder nach Deutschland versetzt. Ebenso wurden drei deutsche Absolventen wieder nach Frankreich versetzt.

Fazit

Austausch- und Verbindungsoffiziere wurden schon lange in beiden Marinen eingesetzt, unter anderem Offiziere wie der heutige Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan C. Kaack, der schon 1991 auf dem französischen Hubschrauberträger Jeanne D´Arc als Ausbilder tätig war.

Aber das Austauschprogramm EFENA (Elève Français en formation à l´École Navale Allemande) ist eine langfristig orientierte Vision der beiden Länder, mit dem Partner auf See, im Einsatz oder in einem internationalen Stab noch besser zu kooperieren. Es wäre natürlich viel einfacher, wenn jeder seine Offizieranwärter ausbildet. Die wahren Früchte trägt diese Kooperation erst Jahre später, wenn die Offizieranwärter Stabsoffiziere und Entscheidungsträger sind. Dementsprechend wird dieses Austauschprogramm heute als Erfolg bewertet und soll weitergeführt werden. Das Deutsche Heer und die Armée de Terre haben das erkannt und diese Erfolgsgeschichte übernommen. Seit mittlerweile 15 Jahren bilden sie ebenfalls jedes Jahr einige Offizieranwärter im jeweiligen Partnerland aus.

Hanna L. und Adrien R.

 

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